Am 20.Juli 2018 hat der Gemeinderat mehrheitlich entschieden nicht gegen das Vorprojekt zur Realisierung des Contournement von Bascharage gerichtlich vorzugehen.
Es war zu diesem Zeitpunkt befürchtet worden, dass besagtes “avant-projet détaillé” (APD) während der Ferienzeit vorgelegt werden könnte. Da ein Rekurs vor Gericht innerhalb von 40 Tagen eingereicht werden muss, war höchste Eile geboten. Inzwischen ist bekannt, dass das APD wohl erst nach den Wahlen vorgelegt werden wird. Zeit also um die Faktenlage neu einzuschätzen und die Entscheidung des Gemeinderates zu hinterfragen.
Die Entscheidung basierte vor allem auf einem summarischen, juristischen Gutachten, sowie auf Äußerungen des Bürgermeisters von Bascharage in der Abgeordnetenkammer, die vom Bürgermeister der Gemeinde Sanem in besagter Gemeinderatssitzung einerseits relativiert, andererseits aber als gültiges Argument benutzt wurden.
Wir wollen hier die drei Hauptargumente auf ihre Richtigkeit untersuchen, die zur Entscheidung des Gemeinderates geführt haben.
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In einer nach der Sitzung erfolgten Pressemitteilung hat der Schöffenrat geschrieben: “Suite à un avis sommaire juridique, parvenu hier aux membres du collège échevinal, l’avocat de la commune précise qu’il ne voit que peu de chances de succéder devant le tribunal administratif. »
Dieser « avis sommaire » lag dem Gemeinderat zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht schriftlich vor. Bürgermeister Engel hat sich jedoch mündlich darauf berufen.
Erste falsche Information : Die NOx-Messwerte sind nicht gestiegen, sondern gefallen
In diesem « avis sommaire » von einer DIN A4-Seite wird zuerst behauptet, die neuesten Messungen an der Messstelle in Bascharage würden die bisherige Argumentation der Gemeinde zunichtemachen :
« Notre argumentation était principalement fondée sur le fait que la décision sur la variante à retenir était basée sur des études anciennes ne prenant pas en considération ni des mesurages ni la situation actuelle. »
Malheureusement toute cette argumentation ne tient plus, alors que les mesurages actuellement discutés ne font que confirmer les craintes de l’évolution négative exprimées à l’époque et qu’on avait contestés. Pire encore les mesurages actuels sont même largement plus négatifs que ce qui était prévu dans la perspective la plus négative.
On ne peut donc plus soutenir que le problème du NO2 n’en serait pas un, respectivement qu’il ne serait pas à tel point grave pour pouvoir justifier une variante de contournement traversant une zone protégée. Il semble en tout cas évident que la variante 0 est définitivement écartée.
Ceci est lourd de conséquence alors qu’on ne discute alors plus de cette variante 0, mais nécessairement l’une des 3 autres et qui ont toutes nécessairement à différents égards des impacts négatifs sur l’environnement. »
Diese Darstellung ist sachlich falsch, wie folgende Datenfolge beweist:
Nicht zu überschreitender Grenzwert: 40 µg/m3
Luftverschmutzungswerte 2012: 57 µg/m3
Dieser Wert (Überschreitung des Grenzwertes von 17 µg/m3) war der einzige veröffentlichte Messwert zum Zeitpunkt als die Gemeinde Sanem am 26.10.2016 ihren ersten Rekurs gegen die Regierungsentscheidung vom 29.07.2016 eingereicht hat.
Die Impaktstudie ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass bis zum Jahr 2020 allein aufgrund der technischen Entwicklung der Fahrzeuge die Werte auf 45 µg/m3 fallen könnten. Da also die Grenzwerte bis dahin nicht unterschritten werden könnten, würde sich der Contournement als notwendig erweisen – gegen diese Behauptung wurde vor Gericht lange argumentiert, u.a. mit der Auswirkung lokaler und regionaler Ma?nahmen zur Verringerung und Eindämmung des individuellen motorisierten Verkehrs und dem Rückgang der Dieselfahrzeuge, die die NOx-Werte verursachen.
Die Impaktstudie hat dabei die Messungen des Jahres 2015 unterschlagen, die bereits einen bemerkenswerten Rückgang der Messwerte zeigten:
Luftverschmutzungswerte 2015: 48 µg/m3
Inzwischen liegen die Werte für 2018 vor, die bereits unterhalb der Vorausschätzungen für 2020 (45 µg/m3) liegen:
Luftverschmutzungswerte 2018 (26.7.2018): 44,1 µg/m3
Kurzfristig lagen die Werte 2017 sogar bei 38 µg/m3, also unter dem europäischen Grenzwert, wegen der Sperrung einer Zugangsstraße vor der Messstation während der zweiten Jahreshälfte, was zeigt, dass verkehrstechnische Maßnahmen sehr schnell die Situation normalisieren können.
Die Haupt”feststellung” auf der die negative Entscheidung des Gemeinderates beruhte hieß also :
« les mesurages actuels sont même largement plus négatifs que ce qui était prévu dans la perspective la plus négative »
Diese « Feststellung » ist das genaue Gegenteil dessen, was in Wirklichkeit passiert ist, nämlich ein schnellerer Rückgang der Werte als erwartet.
Dabei ist die einzige lokale Maßnahme, die die Impaktstudie vorsah – die Einrichtung « intelligenter Ampeln », um die Staus vor der Brauerei aufzulösen -, bis heute nicht umgesetzt worden, was ein Skandal ist!
Die “Ponts&Chaussées” und die Gemeinde Bascharage verstoßen damit gegen die EU-Luftverschmutzungsdirektive, die seit 2010 Luxemburg unter Zugzwang setzt, kurzfristig einen Maßnahmeplan zu ergreifen, um die Werte herabzusetzen.
Man muss noch dazu sagen, dass die Grenzwerte nur an einer einzigen Stelle – und das nur während der Spitzenstunden – überschritten werden, so dass sich noch andere lokale verkehrslenkende und -beruhigende Maßnahmen aufdrängen würden, die auch im Rekurs der Gemeinde Sanem als Alternative zum Bau der Umgehungsstraße aufgezählt wurden … zu einem Zeitpunkt wo die Messwertentwicklung noch pessimistischer eingeschätzt wurde als heute.
Zweite falsche Information
« Pour ces zones de protections la zone principalement concernée était la zone nature 2000 du lias moyen, or, cette zone a été déclarée illégale par le Tribunal administratif dans une affaire dans laquelle le site du centre commercial “Concorde” à Bertrange et limitrophe à cette même zone était concerné.
On aurait ainsi encore perdu l’un de nos arguments principaux. »
Dieses Argument ist erstens krass falsch.
Die betroffene Schutzzone ist nicht die Vogelschutzzone LU0002017 « Lias Moyen », denn diese wurde ausdrücklich von der Impaktstudie ausgenommen (*): “Le projet d’un contournement n’aura pas d’impact sur les paysages et les biotopes à protéger à l’intérieur de la zone « Oiseaux » (S. 68).
Es ist unverständlich, dass in einem “avis juridique”, so “sommaire” er auch sein mag, ein solcher Fehler unterlaufen kann – umso mehr als die Entscheidung des Gemeinderates sich darauf berufen sollte.
Zweitens ist dieses Argument bezogen auf die Konsequenzen des erwähnten Urteils für besagte Vogelschutzzone ebenfalls falsch.
Denn wie unsere juristischen Nachforschungen ergeben haben, können bei Vogelschutzzonen sobald sie die wissenschaftlichen Kriterien erfüllen (und diese Zone ist anerkannt als International Bird Area) keine Projekte durchgesetzt werden solange die Zone nicht von der Regierung als europäische Natura-Zone klassifiziert wurde. Und gerade diese Klassifizierung wurde jetzt vom Gericht annulliert !
Erschwerend kommt drittens hinzu, dass der Anwalt der Gemeinde Sanem in der Angelegenheit Contournement sein Mandat angenommen hat zu einem Zeitpunkt als er bereits als Anwalt der … DP-Gemeinde Bartringen die Annullierung der Erklärung der Lias Moyen-Zone zur Natura-Zone durch règlement grand-ducal vom 4.01.2016 beantragt hatte… Hätte also die inzwischen erfolgte Annullierung dieser Zone die Auswirkung auf die Contournement-Diskussion gehabt, die er jetzt anmahnt, hätte er niemals das Mandat für die Gemeinde Sanem annehmen dürfen !
Die Gemeinde Sanem war also in jedem Fall schlecht durch diesen “avis juridique sommaire” beraten. Das erwähnte Urteil hat nicht die geringste Inzidenz auf die Contournement-Diskussion.
Dritte falsche Information
Die 3. falsche Information auf der die Entscheidung des Gemeinderates beruhte, stammt von niemand anders als dem Hauptverfechter des Contournement, dem député-maire von Bascharage, Michel Wolter. Diese Äußerungen wurden am 17.07.2018 in der Abgeordnetenkammer während der Debatten zum Finanzierungsgesetz des Contournement gemacht. Sie wurden am 20. Juli während der Gemeinderatssitzung folgendermaßen?en von Bürgermeister Engel wiedergegeben:
« Wann dat stëmmt wat den Här Wolter an der Chamber gesot huet wat ech net kann kontrolléieren mä wann dat awer sollt stëmmen wat hien do gesot huet iwwert d’Klasséierung vun där Zone ass dat wierklech domat ech wëll net soen „unrechten Dingen“ et ass awer wierklech ze hannerforen op dat och wierklech esou richteg wuar ech wees et net mä wann dat soll stëmmen ech soen nach eng Kéier, dann kann een déi Argumentatioun novollzéien déi den Här Wolter hat ech hoffe jo awer dann dass et net stëmmt an d’Prozeduren alleguer richteg agehall goufen. Wëll wann se nämlech net agehal goufen da geet et mat der heiten Zone héichstwahrscheinlech wéi mat der Zone zu Bartreng.“
Im Gegensatz zum „Avis“ des Rechtsanwalts wird hier die Kernfrage angesprochen: Ist die Habitatzone LU0001027 „Sanem/Grousse Bësch-Schouweiler/Bitchenheck“ – um die geht es – heute noch geschützt? Und wie ernst ist Wolters Drohung zu nehmen, diese Zone vor Gericht annullieren zu wollen, sollte das APD des Contournement angefochten werden.
Hier die zentralen Aussagen von Michel Wolter dazu:
„déi Art a Weis déi Natura 2000 Zone déi jo och a villen Argumentatiounen ëmmer erëm kennt wéi déi zur Natura 2000 ginn ass. Zwar am Joer 2006 an zwar par simple lettre, haalt iech gudd un: simple lettre du Minstre de l‘environnemnt, deen e Bréif geschriwwen huet op Bréissel fir ze soen „ma elo ass d’Bitchenheck elo mol eng Natura 2000“. Keng Décisoun vum Conseil de Gouvernement, keng Informatioun un d’Bierger, keng Consultatioun vun de Bierger, keen Asproocherecht vun de Bierger, net emol eng Informatioun quelconque bis 2009. »
An och d’Fro vum Contournement ass mat kengem Piepjestoun ernimmt ginn et ass mat kengem Wuert gesot ginn dass 2006, am Kader vun der Ëmklasséierung de Contournement einfach gestrach ginn ass. 2009 liese mir als Gemeng, ouni schlecht Ahnung,, déi nei Regierung huet eng mise à jour gemaach, dass mir eng Natura 2000 hätten, wou awer schein de Contournement agezeechent wuar. 2010, neie coup, déi gréng, froen se an der Chamber eng Debatt un, an deems se soen, do ass 2006 eppes aanescht op Bréissel gescheckt ginn wéi bei eis 2009 am Memorial publizéiert ginn ass. Dat musst der iech virstellen: 2006 as per simple lettre minitérielle e Classement gemaach ginn, an 2009 gett eppes anescht publizéiert. Ech kann ich soen, dat wann 2006 3ng Prozedur gemaach gi wier, an an der Prozedur wier erausgangen, dass de Contournement, de schon aus der Mett vun de 70ger Joeren an der Diskussioun ass, a fir deen et Tracets ginn, vun 1997 un, dass dee net zréckbehalen gi wier, dann hätt d’Gemeng jo selbstverständlech e recours deemeols géint déi Emklasséierung gemach.”
Im Gemeinderat von Bascharage vom 23.7.2018 hat Herr Wolter seine Drohungen laut Pressebericht präzisiert:
„Bürgermeister Michel Wolter (CSV) wiederholte seine Aussagen zur Ausweisung der betroffenen Natura 2000-Zone. Diese sei illegal gewesen und würde einer juristischen Studie nicht standhalten. Die Gemeinde würde dennoch keine Schritte unternehmen, um die Ausweisung nachträglich zu annullieren, da man durch die Zone noch keinen Schaden erlitten habe.
Der Schöffenrat habe dem Juristen der Gemeinde aber Anweisung gegeben, sich bereitzuhalten, sollte ein Rekurs wegen der Zone gegen die Umgehung eingeleitet werden. In dem Fall bestünde ein Schaden für die Gemeinde und ein Gerichtsverfahren zur Annullierung der Zone würde eingeleitet. Eine Sichtweise, die quer durch die Fraktionen wohlwollend aufgenommen wurde.“ (Wort, 25.7.2018)
Diese Darstellung ist erstens faktuell falsch. Die Habitatdirektive der EU sieht, im Gegensatz zur Vogelschutzdirekte, zuerst die Meldung einer Habitatzone wie die „Bitchenheck“ nach Brüssel vor, sobald die Kriterien dazu vorhanden sind. Die Form der Meldung ist nicht vorgeschrieben und auch das luxemburgische Naturschutzgesetz von 2004, das damals anwendbar war, sieht keine besondere Form vor. Dass der damalige Umweltminister Lucien Lux die Naturzone 2006 „par simple lettre“ ausgewiesen hat, ist also nicht illegal.
Und selbst wenn diese Meldung nach Brüssel im Nachhinein von einem Gericht nicht annulliert (das ist nicht mehr möglich), sondern als nicht anwendbar auf die gegenwärtige Angelegenheit erklärt werden sollte, spielt hier eine Besonderheit der europäischen Prozedur: Die Habitatzone ist nämlich definitiv am 12.12.2008 von der europäischen Kommission als „site d’intérêt communautaire“ (SIC) zurückbehalten worden.
Und von diesem Moment an gelten die Regeln, dass jedes Projekt durch eine Naturzone nur durch eine „raison impérative d’intérêt public majeur“ erfolgen kann und keine Alternative dazu bestehen darf. (Das ist die Frage der NOx-Werte und der Variante „0“ als Alternative, siehe Punkt 1).
Die Natura-Zone 2000 „Bitchenheck“ ist also seit dem 1.12.2008 geschützt. Deshalb beruft sich auch das Regierungsvorhaben „Contournement“ darauf. Dies musste Herr Wolter sich bereits am 29.9.2010 in einer Sitzung der „Commission à l’Aménagement du territoire“ vom damaligen Minister Wiseler auf seine Argumentation hin vorhalten lassen: „la notification faite en 2006 existe bel et bien en droit européen“.
Dazu muss man noch folgende, sehr wichtige Präzision machen:
Es ging Herrn Wolter damals nicht um wissenschaftliche Kriterien die bei der Bestimmung als Naturschutzzone nicht vorhanden gewesen wären (so erwähnte er „Nachpflanzungen“ durch die SICONA und eine schlechte Qualität der geschützten Baumarten), sondern um die (von ihm abgelehnte) Einbeziehung der Trasse des „Contournement“ in die NATURA-Zone.
2006 (bei der Ausweisung der Zone) hat der damalige Umweltminister Lux die 16 ha des Contournement durch den „Zämerbësch“ mit einbezogen, weil er dazu verpflichtet war! Bei dieser Etappe darf nämlich keinen vorgesehenen Projekten Rechnung getragen werden, wie der Europäische Gerichtshof mehrmals bestätigt hat.
2009 hat Minister Wiseler im règlement grand-ducal diese 16 ha jedoch gesetzeswidrig wieder herausgenommen! Die Fläche beträgt demnach nur mehr 258,44 ha!
Das wurde nie in Brüssel akzeptiert und deshalb besteht auch die 2006 ausgewiesene Fläche von 274,48 ha auch heute noch (Entscheidung der Kommission 9.12.2016 (10. aktualisierte Liste der zones d’intérêt communautaire). Sie ist im Géoportail eingetragen und wird auch vom Projekt Contournement respektiert.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des Gemeinderates der Gemeinde Sanem vom 20.7.2018 ist auf falschen Tatsachen erfolgt und hat deshalb keinen Bestand.
Wir bitten deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Gemeinderat, sich mit den von uns hervorgebrachten Fakten, u.a. in der Arbeitsgruppe Contournement, auseinander zu setzen.
déi Lénk, 24.9.2018
(*) ob zurecht oder zu unrecht sei dahingestellt, denn sie liegt nur 40 Meter entfernt !